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Demenz ist trotzdem Lebensfreude

Interview mit Demenz-Aktivistin Sophie Rosentreter (Teil 3 von 3)

©Katrin Schöning

Die ehemalige TV-Moderatorin und Model Sophie Rosentreter setzt sich für die Aufklärung über Demenz ein. Persönliche Erfahrungen in der Familie brachten sie zu dem Thema, dem sie sich heute bei Vorträgen und mit einer eigenen Filmreihe widmet. Sie verbindet dabei Ihre eigenen Erlebnisse mit ausführlicher Recherche in Pflegeeinrichtungen. Was sie sich von der Gesellschaft wünscht und welche Modellprojekte ihr am Herzen liegen, hat sie uns in Teil 3 unseres Interviews verraten.

Frau Rosentreter, was hat sich aus Ihrer Sicht in der Pflege im Umgang mit Demenz getan und was braucht es noch?

Innerhalb der Pflege hat sich viel getan. Ich sehe wunderschöne Projekte, die aufblühen, und die auch in mehr Städten Fuß fassen. Oft ist es so, dass diese Leuchtturm- oder Modellprojekte für ein, zwei Jahre gefördert werden. Die Projekte sind großartig und dann hört die Förderung auf und das Wissen versandet wieder. Das bricht mir das Herz, weil ich denke, damit muss unsere Gesellschaft geschwemmt werden.

Sie sehen Demenz auch als gesellschaftliches Thema?

Ja. Wir müssten bei allen Generationen andocken, aufklären und die Scham nehmen, denn Demenz geht uns alle an. Es gibt tolle Projekte. Ich sehe, es geht voran. Und ich sehe auch, dass sich die Gesellschaft generell ein wenig mehr öffnet. Für mich nicht schnell genug. Wir werden alle immer älter. Viele Pflegekräfte fehlen jetzt schon und zusätzlich werden 1⁄3 der Profis innerhalb der nächsten 8 Jahre in Rente gehen. Es wird nicht auf den Schultern der professionellen Pflege alleine abbildbar sein, wir alle müssen ran. Das ist Nachbarschaftshilfe, das ist Quartiersarbeit, das ist die Familie und jeder, jede Einzelne von uns.

Die Betreuung von Demenzkranken ist also auch Familiensache?

Natürlich! Aber ich sage nicht, dass Menschen mit Demenz bis zum Schluss in der Familie gepflegt werden müssen. Wichtig ist aber, dass wir alle zum Thema Demenz aufgeklärt sind, damit wir schon im Kleinen helfen können. Das Ziel sollte sein, aufmerksamer durch den Tag zu gehen: Es ist das Stehenbleiben und Hilfe anbieten für eine ältere Person an der Kasse oder an der Straßenecke. Es ist die Nachbarschaftshilfe, die ich aktiv mitgestalte, es ist das ehrenamtliche Engagement, das selbstverständlich gelebt wird. Dieses Bewusstsein in der Gesellschaft fehlt, sodass wir alle jetzt gefragt sind, damit die Zukunft ein Ort wird, an dem wir alle gerne alt werden. Andere werden es nicht für uns richten!

Braucht es dafür auch eine andere Politik?

Generell hat sich innerhalb der Pflege viel getan. Auch wird die professionelle Pflege zum Beispiel durch den Pflegerat oder die Pflegekammern immer mehr gehört. Was ich aber auch sehe, ist, dass die Schranken der Politik und des Gesundheitssystems
nicht offen genug sind. Wir benötigen andere Möglichkeiten, um dieses System schnell und zuverlässig neu aufzustellen. Außerdem sollten wir den pflegenden An- und Zugehörigen mehr Gehör verschaffen, denn ihre Erfahrungen und Kompetenzen sind ausschlaggebend, um die Politik mitzugestalten.

Was gibt Ihnen Hoffnung?

Ich erlebe innerhalb der Pflege, dass sich Menschen und Einrichtungen auf den Weg machen und es trotz der Schranken anpacken. Sie jammern nicht über das, was fehlt, sondern finden Wege und Lösungen. Es gibt Pflegeeinrichtungen, Organisationen und Ehrenamtliche, die die Betreuung von Menschen mit Demenz wunderbar meistern, kreativ und mutig neue Wege gehen und unsere Gesellschaft damit im Kleinen beeinflussen, quasi von unten nach oben.

©Katrin Schöning

Sie wünschen sich also mehr Zuversicht und positives Denken im Umgang mit Demenz?

Ja, denn ich glaube schon, das Wording – also wie wir über Demenz sprechen – ist essenziell, es zeigt unsere Haltung. Es liegt auch an uns, innerhalb der professionellen Pflege zu sagen, wie wunderbar vielseitig dieser Job ist, und warum wir ihn gewählt haben. Dann erschaffen wir auch ein neues, positiveres Image der Pflege. Das ist nicht immer leicht – da ist viel Arbeit, wenig Zeit, kein Teamgeist, schlechte Führung, fehlende Fortbildungen, meckernde Angehörige, wenig Geld. Dann gerät man schnell in einen Teufelskreis des Nicht-mehr-Könnens, fühlt sich leer und überfordert und wechselt dann den Job. Wir in der Pflege ebenso wie pflegende Angehörige müssen da ausbrechen, unseren (Pflege-)Alltag anders mitgestalten, sodass wir daran wachsen können. Deshalb bin ich Demenz-Aktivistin und möchte über Demenz aufklären und Ängste nehmen, Wissen vermitteln und so der Demenz mit Leichtigkeit begegnen.

In der Corona-Pandemie wurde für Mitarbeitende in Krankenhäusern und der Pflege geklatscht. Wie stehen Sie dazu?

Es gab einige Stimmen, die meinten: „Was sollen wir denn mit dem Klatschen, das reicht nicht“? Ich habe auch geklatscht. Mit Überzeugung, weil ich wollte, dass der Scheinwerfer auf die Pflege gerichtet ist. Ich wollte, dass die Pflege aufstehen und sagen kann: „Vielen Dank, jetzt haben wir die Aufmerksamkeit. Folgendes formulieren und brauchen wir, damit es uns in Zukunft und Jetzt besser geht.“ Da hätte ich mir mehr gewünscht. Denn es gibt Menschen, die etwas bewegen wollen, und es gibt tolle Modellprojekte.

Was sind für Sie Vorreiter-Projekte für Demenz und wo können sich auch pflegende Angehörige Unterstützung holen?

Eines meiner Lieblingsbeispiele aus dem Ausland ist das Restaurant of mistaken Orders. Hier sind Menschen mit Demenz im Service angestellt, und als Gast weißt du, dass du höchstwahrscheinlich eine andere Speise bekommst, als du bestellt hast. Menschen mit Demenz erfahren hier Selbstwertgefühl, weil sie noch eine Aufgabe übernehmen dürfen und ganz nebenbei wird über Demenz und den Umgang aufgeklärt. Wäre das Restaurant in meiner Nähe, würde ich regelmäßig dort mit meiner Tochter essen gehen. Hier in Deutschland bin ich unter anderem Fan von „Vier Pfoten für Sie“. Das ist ein großartiger Hundebesuchsdienst für Menschen mit Demenz in der Häuslichkeit. Therapiehunde im Heim sind bekannt, aber die Menschen in der Häuslichkeit werden oft vergessen. Dann gibt es die Generationsbrücke Deutschland. Hier übernehmen schon heute mehr als 400 Pflegeeinrichtungen Patenschaften mit Kindergärten. So lernen Kinder, dass Themen wie Pflege, Demenz und Tod zum Leben dazugehören.
Außerdem bin ich ein großer Fan von Initiativen wie „Wir tanzen weiter!“. Dabei werden Tanzkurse für Menschen mit Demenz und ihre begleitenden Angehörigen und Zugehörigen angeboten. Das Wunderbare ist, dass man beim Tanzen nicht sieht, wer
demenziell verändert ist. Man sieht nur, dass alle Spaß haben, sich auf Augenhöhe begegnen und gestärkt wieder nach Hause gehen.
Und Begegnungen über Kunst schätze ich auch sehr. Ob Museen, die für Menschen mit Demenz Führungen machen, oder begleitete Kunst zum Selbermachen für pflegende An- und Zugehörige, zum Aussteigen aus dem Pflegealltag und zum Ausdruck der Gefühle.

Mit all ihrem Wissen und Ihren Erfahrungen, wie blicken Sie heute auf Demenz?

Demenz ist Teil des Lebens und natürlich kein einfacher Weg. Demenz ist, sich selbst und die Person gegenüber neu kennenzulernen, sich Dinge und Gefühle erlauben, die man sich vorher nie erlaubt hat. Demenz ist Veränderung, kann aber auch
Versöhnung möglich machen. Es gibt so viel Gutes neben den Herausforderungen, wenn man mit dem Herzen schaut. Die Aborigines sagen, dass Menschen mit Demenz schon mit einem Fuß bei den Göttern sind. Wenn wir uns also öffnen und verstehen, dass trotz der Demenz Lebensfreude, Spiritualität und Teilhabe möglich ist, können wir zusammenwachsen, eine neue Haltung entwickeln, die das Wir und nicht das Ich fördert.

 

Vielen Dank, Sophie Rosentreter.

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